Hiob – die Geschichte eines Hans im Unglück. Im letzten Jahr habe ich sie als Adonia-Musical Hiob wunderbar ins Heutige übersetzt gesehen. Sie hat mich seither nicht mehr losgelassen.
Denn: das Thema Leid und Unglück, die Frage: Warum lässt Gott das zu?, gehören zum menschlichen Leben wie das Amen in der Kirche.
Hiobsbotschaften
Wer das Buch Hiob nicht kennt, kennt zumindest das Wort Hiobsbotschaft!
Hiobsbotschaften lauern heute überall.
Da kommen euch sicher auch gleich Assoziationen: Überfall Russlands auf die Ukraine, Terror der Hamas in Israel, immer neue Eskalationen im ganzen Nahen Osten, der Arzt sagt eine schlimme Diagnose, eine Bekannte bricht morgens unter der Dusche zusammen, eine Woche später ist ihre Beerdigung.
Diese Art Hiobsbotschaften sind aber nicht das Wesentliche, was vom Buch Hiob übrigbleiben sollte.
Hiob
Doch was ist denn Hiobs Botschaft wirklich? Dazu müssen wir uns die 42 Kapitel des Buches Hiob etwas genauer anschauen. Nicht so ganz einfach, wenn ich nicht mal die eineinhalb Stunden zur Verfügung habe wie das Musical…
Ich will das mal versuchen.
Das Buch Hiob malt mir ein Theaterstück vor Augen. Ihr könnt euch das auch als Film oder Netflix-Serie vorstellen. Immer wieder fällt das Licht der Scheinwerfer auf andere Szenen mit anderen Handelnden. Und das so kreuz und quer und manchmal langatmig, dass man Mühe hat den Überblick zu behalten.
Erste Szene auf der Erde. - Hiob war reicher als alle, die im Osten wohnten. (Hiob 1,3). Und nicht nur das: er war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse. (Hiob 1,1) Seine Gottesfurcht ging sogar so weit, dass er regelmäßig Brandopfer opferte, weil er dachte: Meine Söhne könnten gesündigt und Gott abgesagt haben in ihrem Herzen. (Hiob 1,5)
Der Pakt mit dem Teufel
Zweite Szene: Im Himmel. Gott sieht das.
Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse. (Hiob 1,8) So sieht Gott Hiob. Gott müsste ihn dafür doch segnen – oder? Meinen wir.
Daher ist das, was jetzt folgt, verstörend. Gott weist den Satan ausdrücklich auf diesen Hiob hin – und erlaubt ihm, Hiob alles zu nehmen, was er hat. Der Satan ist sich sicher: Hiob wird Gott verfluchen. Und Gott? Kann er sicher sein, dass Hiob ihm die Treue hält?
Es passiert jedenfalls das, woher das Wort Hiobsbotschaft stammt:
Zuerst verliert Hiob seine siebentausend Schafe, seine dreitausend Kamele, seine fünfhundert Joch Rinder und seine fünfhundert Eselinnen und auch die meisten seiner Knechte.
Als Zweites stürzt im Sturm sein Haus ein und begräbt seine Söhne und Töchter unter sich.
Als Drittes wird Hiob krank mit Geschwüren, die den ganzen Körper bedecken. Das bedeutete damals den sozialen Tod.
Und zum Schluss fällt ihm noch seine Frau in den Rücken: Sie fordert ihn auf, diesen Gott, der so etwas zulässt, zu verfluchen.
Was macht Hiob?: Er sagt:
Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen? (Hi 2,10 EU).
Die Freunde von Hiob
In allem Unglück hat Hiob das Glück, nicht allein zu sein. Er hat Freunde.
Es folgen lange Szenen mit Dialogen zwischen den Freunden und Hiob.
In der ersten dieser Szene verhalten sich die Freunde sogar sehr vorbildlich! Sie saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. (Hiob 2,13). Was kann man mehr von Freunden erwarten, als das sie einfach da sind, das Leid teilen?
Aber dann kommen Vermutungen, die wir kennen. Hiob könnte ja an seinem Leid selbst schuld sein. Wenn man Freunde hat, ist guter Rat nicht teuer – manchmal aber auch nicht hilfreich. Dabei sind die folgenden Ratschläge sogar richtig gut, stammen sie doch zum großen Teil aus der jüdischen Weisheitslehre.
Ein Beispiel (Hiob 4,8): Die da Frevel pflügten und Unheil säten, ernteten es auch ein. Und das Ganze noch gewürzt mit einer ganzen Reihe frommer Sprüche: Ich aber würde mich zu Gott wenden und meine Sache vor ihn bringen, der große Dinge tut, die nicht zu erforschen sind, und Wunder, die nicht zu zählen sind, der den Regen aufs Land gibt und Wasser kommen lässt auf die Gefilde, der die Niedrigen erhöht und den Betrübten emporhilft. (Hiob 5,8)
Alles nicht falsch, aber in Hiobs Situation wenig hilfreich.
Hiobs Antwort ist dementsprechend:
Doch ich wollte gern zu dem Allmächtigen reden und wollte rechten mit Gott. Aber ihr seid Lügentüncher und seid alle unnütze Ärzte. Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben. […] Schweigt still und lasst mich reden; es komme über mich, was da will. (Hiob 13,3-8.13).
Auch in der zweiten Runde der Argumente der Freunde geht das so weiter, so dass Hiob ganz genervt reagiert: Wollen die leeren Worte kein Ende haben? Oder was reizt dich, so zu reden? (Hiob 16,3)
Die Freunde steigern sich abwechselnd immer mehr rein Hiob auszumalen, wie es den Gottlosen vor Gott geht. Und dann noch der Rat: So vertrage dich nun mit Gott und mache Frieden; daraus wird dir viel Gutes kommen. (Hiob 22,21) Bekehrst du dich zum Allmächtigen und demütigst du dich und tust das Unrecht weit weg von deiner Hütte – wirf in den Staub dein Gold […], so wird der Allmächtige dein Gold sein und erlesenes Silber für dich. (Hiob 22,23-25)
Ein Spruch zum Einrahmen.
Wie gesagt: alles nicht falsch. Doch die Ratschläge gehen immer mehr an den Tatsachen vorbei. Das ist blanke Theorie, von Menschen erdacht, kluge Gedanken aus dicken Buchdeckeln. Das hilft Hiob jetzt gar nicht:
Wie tröstet ihr mich mit Nichtigkeiten, und von euren Antworten bleibt nichts als Trug!
(Hiob 21,34)
Viel Gerede – keine Lösung.
Denn: Hiob ist sich keiner Schuld bewusst, er bleibt dabei: Gott ist die Ursache seines Leidens –und niemand kann‘s verhindern: Doch er hat’s beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht’s, wie er will. (Hiob 23, 13) Hiob nimmt Gott in Schutz: Ich will euch über Gottes Tun belehren, und wie der Allmächtige gesinnt ist, will ich nicht verhehlen. Siehe, ihr habt es alle gesehen; warum bringt ihr dann so unnütze Dinge vor? (Hiob 27, 11-12)
Ihr habt doch gesehen, dass Gott es immer gut gemeint hat. Warum zweifelt ihr?
Hiob und Gott
Und dann ist Hiob in den nächsten Szenen allein. Allein mit einem Gott, der sich nicht zeigt – und schweigt.
Hiob hatte schon am Anfang Gott seine Klagen vor die Füße geschleudert:
Warum bin ich nicht gestorben im Mutterschoß? Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam? (Hiob 3,11)
Ich will reden in der Angst meines Herzens und will klagen in der Betrübnis meiner Seele. (Hiob 7,11)
Mich ekelt mein Leben an. Ich will meiner Klage ihren Lauf lassen und reden in der Betrübnis meiner Seele und zu Gott sagen: Verdamme mich nicht! Lass mich wissen, warum du mich vor Gericht ziehst. (Hiob 10,1-2)
Auf die Klage folgt nun die Trauer. Hiob denkt an die schönen alten Zeiten, in denen Glück und Erfolg bei ihm wohnten und er etwas war:
Ich bestimmte ihren Weg und saß obenan und thronte wie ein König über der Schar, als einer, der die Trauernden tröstet. (Hiob 29,25)
Das hat nun ins Gegenteil gekehrt:
Jetzt bin ich ihr Spottlied geworden und muss ihnen zum Gerede dienen. (Hiob 30,9)
Schließlich bricht es aus Hiob heraus in Anklage an Gott, in Selbstanklage und einen direkten Appell an Gott: Warum? Habe ich etwas falsch gemacht?
Gott möge mich wiegen auf rechter Waage, so wird er erkennen meine Unschuld! (Hiob 31,6)
Der allmächtige Gott
Und dann – endlich! in Kapitel 38! - tritt Gott selbst auf die Bühne. Im Adonia-Musical mit Blitz und Donner und einer gewaltigen Stimme aus dem Off.
Statt Antwort und Trost bekommt Hiob von Gott aber erst einmal eine Watsch’n, wie man in Bayern sagen würde:
Wer ist’s, der den Ratschluss verdunkelt mit Worten ohne Verstand? (Hiob 38,2)
Gott ruckelt die Maßstäbe zurecht:
Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist! Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Messschnur gezogen hat? (Hiob 38,4-5)
Zwei Kapitel lang redet Gott über seine Größe und seine Taten.
Darauf kann Hiob nur zerknirscht antworten:
Siehe, ich bin zu gering, was soll ich dir antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen. (Hiob 40,4)
Aber Gott macht weiter:
Hast du einen Arm wie Gott, und kannst du mit gleicher Stimme donnern wie er? (Hiob 40,9)
Jetzt tut mir Hiob langsam leid. Das braucht er wirklich nicht in seiner Situation. Das ist schwer auszuhalten.
Aber Hiob sagt zu Gott:
Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer. […] Darum gebe ich auf und bereue in Staub und Asche. (Hiob 42,2.6)
Hiob kapituliert. Vor Gott.
Und da geschieht etwas Überraschendes. Die Hintergrundmusik wechselt von Moll auf Dur. Die Szenerie erstrahlt plötzlich in warmem Licht vor den dunklen abziehenden Wolken.
Gott kanzelt plötzlich die Freunde Hiobs ab, fordert sie zu Brandopfern auf und bittet Hiob, für sie zu bitten, damit er ihnen nichts antut.
Und für Hiob ist unerwartet das Happyend da, das wir ihm schon am Anfang wünschten:
Und der HERR erhörte Hiob. Und der HERR wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde bat. Und der HERR gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte. […] Und der HERR segnete Hiob fortan mehr als zuvor […] Und Hiob starb alt und lebenssatt. (Hiob 42,9-10.12.17)
So stellen wir das uns vor. Lebenssatt nach einem langen erfüllten Leben sterben. Aber möglichst ohne den Umweg über das Leid. Möglichst glatt und mit einem Sessellift hinauf auf die Gipfel. Aber um die schöne Aussicht zu genießen, muss man manchmal erst den anstrengenden Aufstieg aus dem Tal hinter sich bringen.
Hiobs Botschaft
Hiob weiß das, auch wenn er zwischendurch immer mal klagt und jammert. Dazu ist das Unglück, das ihn trifft, auch zu schwer.
Aber manchmal schimmert etwas davon durch, woran er fest glaubt und was er auch standhaft gegenüber seinen Freunden verteidigt:
Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt! (Hiob 1, 21-22)
Und dann:
Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt. (Hiob 19,25)
Das ist Hiobs Botschaft!
Eine Botschaft mit Ewigkeitswert. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.
Und wir?
Der Gott, an den sich Hiob mit Erfolg klammerte, gab seinem Leben den Sinn, den kein Mensch ihm geben könnte. Trug ihn letztlich durch das Leid.
Dieser Gott ging sogar später noch einen Schritt weiter, er bot der ganzen Welt Erlösung an durch Jesus.
Wir sind dadurch ebenfalls einen Schritt weiter. Menschliche Weisheit, wie sie das Buch Hiob ausbreitet: schön und gut. Aber, wie wir gesehen haben, im Leid nicht immer hilfreich.
Gott hat in Jesus ein für alle Mal unsere Perspektive geändert.
Denn: das Leid ist in der Welt. Nicht nur in der Ukraine, in Israel, Gaza oder Libanon. In Somalia oder Afghanistan. Nein es kann Jeden treffen. Klein und Groß. Dick und Dünn. Nichtchristen und Christen. Das Leid kennt keine Unterschiede. Im Leid besteht die Gefahr, dass wir das Wesentliche aus dem Blick verlieren. Weil es alles bestimmt. Weil es einfach Mist ist, habe ich neulich in einem – christlichen - Vortrag gehört.
Als meine kleine Schwester starb, als ich 17 war, war das einfach Mist, einfach schrecklich. Es hat fast 30 Jahre gedauert, bis ich in einer Therapie darüber weinen konnte.
Als mir meine erste Ehe um die Ohren flog, war das eine furchtbare Zeit. Furchtbare Tage und Nächte. Ängste. Wut und Verzweiflung. Einfach Mist. Aber ohne diese Zeit würde ich heute nicht vor euch stehen.
Leid ist einfach Mist. Aber es ist da und im besten Fall kommt später mal eine Idee davon, wozu das gut war.
Leid ist auch Mist, weil Gott eben oft nicht sofort mit Blitz und Donner auf der Bühne erscheint und Antworten und Auswege aus dem Leid zeigt. Dieser Gott, vor dem wir ganz klein werden, weil er so groß und mächtig, so schön und herrlich ist. Aber auch so schrecklich. Und so unbegreiflich.
Deshalb fasziniert mich dieser Hiob. Seine Frau redet gegen ihn. Seine Freunde versagen. Gott hält sich lange Zeit vornehm zurück in diesem Stück. Nur Hiob ist ständig präsent und bleibt stur bei seiner Meinung. Es muss vorher irgendwas geschehen sein, was ihm half.
Da fällt mir eine Zeile über König David aus 1. Samuel 30,6 ein: David aber stärkte sich in dem HERRN, seinem Gott. Das können auch wir tun, am besten stets und ständig, bevor das Leid zu uns kommt. Uns stärken in Gott.
Denn dieser Gott, der uns geschaffen hat, weil er uns gewollt hat, kennt selbst das Leid. Dieser Gott, der uns schrecklich liebt, wirklich schrecklich. Dieser Gott verspricht uns in Jesus zunächst keinen Rosengarten, kein Friede-Freude-Eierkuchen. Er sagt sogar: wer mir nachfolgen will, der muss mein Kreuz tragen.
Wirklich, dass sagt er. Dabei weiß Jesus doch selbst, was Kreuz bedeutet. Die schlimmste Foltermethode. Elendiges Verrecken. Unendliche Schmerzen. Unendliches Leid.
Seine Jünger haben es erfahren, sie sind fast alle als Märtyrer gestorben. Aber gerade deswegen kann ich an Jesus glauben, weil das so authentisch ist. So echt. Die Bibel beschönigt nichts. Sie lässt es in den Evangelien sogar zu, dass vier Augenzeugen von Jesus reden. Keine einheitliche, weichgespülte Geschichte von Gott als Mensch - Jesus - auf dieser Erde lesen wir. Wir lesen Protokolle von Augenzeugen, die die Vorgänge ganzunterschiedlich aufgeschrieben haben. So wie verschiedene Zeugen ein und denselben Autounfall im Polizeiprotokoll beschreiben.
Da lese ich in allen Einzelheiten, wie dieser Jesus am Kreuz für mich gestorben ist. Um meine Schuld von mir zu nehmen. Um mich zu erlösen. Wie er am dritten Tag auferstanden ist und zur Rechten Gottes auf mich wartet. Er sagt: Selig sind die, die Leid erfahren. Er verspricht, einmal alle Tränen abzuwischen, wenn ich nur an ihn glaube.
Ich weiß, das ist für Viele schwer zu glauben.
Und vermutlich würde auch mir das nicht ausreichen zum Glauben.
Für mich ausreichend ist nur, dass dieser Jesus dann doch ab und an zu mir kommt. Weil er mich kennt und trotzdem liebt. Mich in den Arm nimmt. Einfach da ist. Ich spüre, dass er es gut mit mir meint. Dass er ich liebt. Dass ich ihn alles fragen kann.
Von diesen Momenten, von diesen kostbaren Momenten zehre ich.
Das stärkt mich.
Und ich hoffe, dass das auch so sein wird, wenn Leid in mein Leben bricht. Dass das trägt auf der Langstrecke, die das Leben manchmal für uns bereithält. Dass ich das dann aushalten kann, wenn Gott statt eines Trostes mal wieder nur ein Schweigen bereithält.
Ich weiß, Gott braucht mich nicht.
Aber ich brauche ihn und halte daher an Hiobs Botschaft fest, weil ich den wahren Erlöser kenne:
Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.
Und ich wünsche Dir, dass Du das auch so sagen kannst.
Amen
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