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Enttäuschung

Zwei Tage waren wir schon in Aufbruchstimmung, weil wir hörten, dass die Epidemie ein Ende hat. Aber jetzt sitzen wir wieder alle schwachsinnig herum, weil wir hören, dass die Seuche noch einige Scharmützel übt.

 

Enttäuschung macht sich breit. Wieder ein Jahresbeginn und nur Corona-Nachrichten! Zwei Jahre geht das schon. Ich hatte gedacht, dass – wie bei der Spanischen Grippe vor gut 100 Jahren – der Spuk der Pandemie nach zwei Jahren vorbeigeht. Hatte gedacht, dass sich mehr Leute impfen lassen und dadurch das Virus in diesem Winter keine Chance mehr hat.

 

Stattdessen: Eine neue Variante, im ganzen Land Spaziergänge am Montag, die regelmäßig in Gewalt ausarten, gute Freunde, intelligente Menschen, die da plötzlich mitmachen. Kurzum – die Realität sieht anders aus, als ich sie mir ausgemalt habe.

 

Das Zitat am Anfang ist kein Statement aus dem (nicht einmal angedachten) Winterurlaub, keine Situationsbeschreibung am Beginn des neuen Jahres 2022. Sondern das Zitat aus einem Brief von Angelo Poliziano aus dem Jahr 1478. Poliziano betreute in einer Villa nahe Florenz die Kinder des mächtigen Fürsten Lorenzo de‘ Medici, der die Familie vor der Pest in Sicherheit gebracht hatte und nun die Rückkehr erwartete.

 

Es ist das Zeitalter der Renaissance, eine Epoche, die durch technischen Fortschritt, intellektueller Schaffenskraft und großartiger Kunst geprägt ist, die man heute noch in den Museen von Florenz, Ravenna oder Venedig bewundern kann. Auf der anderen Seite fehlen in dieser Zeit aber auch nicht Machtstreben, Krieg, gesellschaftliche Zwietracht, Dummheit und Aberglauben.

 

Was lerne ich daraus?

 

Erstens, die Realität gibt es nicht. Meist gibt es ganz unterschiedliche Entwicklungen nebeneinander.

 

Zweitens, Enttäuschung ist die Befreiung von der Täuschung durch diese Realität, genauer gesagt diese Realitäten.

 

Und so bin ich nach wie vor hoffnungsfroh, dass sich die bessere Seite dieser Realitäten wieder zeigen wird. Dass wir alle in dieser Pandemie nicht die Geduld verlieren, einander verzeihen können, was vielleicht in dieser Zeit aus Ungeduld und Unkenntnis in der Situation falsch gemacht wurde und dass wir aus dieser Pandemie lernen.

 

Letztlich war die Renaissance ein großer Schub für den Fortschritt, beendete das Mittelalter und stieß zahlreiche Neuerungen an. Reformation ist ein Stichwort.

 

 

Letztendlich wurde die Pest besiegt. Das kann wieder passieren.

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